Alleinsein ungleich Einsamkeit
Viele Menschen haben Angst alleine zu sein, geschweige denn alleine etwas zu unternehmen. Man muss nur mal nach draussen gehen und schauen. Innerhalb von Gruppen gibt es immer ein, zwei Personen, die alleine sind. Weshalb nicht mehrere? In meinem Kollegenkreis höre ich oft: „Ich bin nicht gerne alleine.“
66 Anrufe pro Tag erhält das Sorgentelefon „Tel143“ der „Dargebotenen Hand“, von Menschen, die sich einsam fühlen. Das sagte SRF News im Artikel „Gemeinsam einsam in der Schweiz“. Das schockiert mich. Der Artikel erklärt, wie wichtig das soziale Leben ist und Einsamkeit krank macht. Das stimmt schon, vor allem auf lange Zeit hinaus. Es gibt verschiedene Gründe, weshalb sich jemand einsam fühlt: Man hat beispielsweise jemanden verloren oder eine Sozialphobie. Doch was mir im Text fehlt, ist, dass das Problem nicht an der Wurzel gepackt wird. Ich möchte das Thema nicht verharmlosen. Aber Alleinsein muss nicht gleich Einsamkeit bedeuten. Es ist nichts Schlimmes. Wenn man an dem Einsamkeitsgefühl arbeitet, bis man sich alleine wohlfühlt, dann wird es den Leuten einfacher fallen andere kennenzulernen, weil man selbstbewusst auftritt und sich nicht versteckt.
Ich spreche von eigener Erfahrung. Ich bin 27. Vor zwei Jahren erst im Sommer war ich das erste Mal alleine am See. Ich hatte mein Badezeug dabei. Ich stand also auf der Wiese und sah die vielen Menschen. Das war mir zu viel und ich ging wieder. Ich schämte mich, weil ich vor der Öffentlichkeit und vom Alleinsein geflüchtet bin. Oft sass ich bei 30 Grad Hitze zu Hause, langweilte mich, manchmal weinte ich und sprach zu mir selbst: „Du bist so blöd, bei diesem schönen Wetter zu Hause zu bleiben, nur weil gerade niemand Zeit hat!“ Vor zwei Jahren bin ich gescheitert.
Letztes Jahr habe ich es nochmals versucht. Ich ging an den See und lag mich auf mein Badetuch. Als die Angst kam, wollte ich wieder gehen. Aber ich nahm mein Handy und ein Buch hervor. Das half mir. Je länger ich mich am Ort befand, desto mehr liess die Angst vor dem Alleinsein nach. Plötzlich fielen mir mehrere Leute auf, die alleine da waren. Mit der Zeit schaute ich mich auch mal um, beobachtete gerne andere und lächelte alleine. Für mich ist das ein Erfolg, weil es heute noch Tage gibt, wo ich alleine einen Ausflug mache, ohne mich alleine zu fühlen.
Dass man sich nur im sozialen Umfeld wohlfühlen kann, ist wie eine Schutzhülle. Manchmal muss man diese Schutzhülle durchbrechen und sich seiner Angst vom Alleinsein stellen.
Was ist schon Schlimmes dabei, alleine an ein Konzert zu gehen, alleine zu verreisen oder alleine einen Sonnenuntergang zu betrachten. Man macht sich viel zu viele Gedanken in solchen Situationen, was andere über einen denken. Dabei sind die meisten Leute mit sich selbst beschäftigt. Bestimmt gibt es den Einen oder Anderen der einen anschaut. Man hat Angst davor ausgelacht zu werden und dass andere schlecht über einen sprechen. Von einigen wird man vielleicht bemitleidet, oder es sind genau diejenigen, die einen bewundern und denken, der oder die hat Mut, alleine zu sein, unter vielen Leuten.
Alleine sein und etwas zu unternehmen gibt einem Freiraum das zu tun, worauf man Lust hat, ohne Kompromisse einzugehen. Man kann mal durchatmen und die Ruhe geniessen. Wenn man sich alleine gut fühlt, dann auch in einer Gruppe. Denn man kann in einer Gruppe sitzen und sich trotzdem einsam fühlen.
Ich sage nicht, dass alleine sein besser ist als unter Freunden. Das soziale Leben zu pflegen ist wichtig, man kann sich austauschen und Erlebnisse miteinander teilen, Spass haben und sich helfen. Das braucht man. Aber man weiss nie, ob man irgendwann einmal in seinem Leben alleine sein wird. Freunde kommen und gehen. Nur wenige bleiben. Viele gehen ihren eigenen Weg, vielleicht geht man selbst einen anderen Weg und entscheidet, in eine andere Stadt zu ziehen. Am neuen Ort braucht es seine Zeit, neue Freundschaften zu schliessen. Alte Freunde können bleiben, aber die sind dann nicht mehr in der Nähe. Man kann dem Alleinsein nicht ausweichen. Und in diesen Zeiten sollte man dann alles andere tun, als sich zu Hause verkriechen. Seid glücklich mit euch selbst und zeigt das.
Info: Aktuell läuft im Kino „How To Be Single“. Der Film erzählt auf lustige, leicht ironische Weise, wie man das Single sein leben sollte, spricht aber auch das Alleinsein, also ohne Beziehung und ohne Freunde an. Sehr empfehlenswert.
4 Antworten zu “Alleinsein ungleich Einsamkeit”
Liebe Melina, vielen Dank dafür, dass Du Dir so tolle Gedanken übers Alleinsein aufgeschrieben hast! Ich erschrak über mich selbst, als mir bewusst wurde, was man aus dem Alleinsein alles machen kann.
Gerne 🙂
dankä für de supr text. i bi selbr vor 2 johr id situation cho woni mr ha mösse übrlegge öbi ellei sii wett/cha. i go mega gern as openair ga zelte. mini kollege wennd sit paar johr abr liäbr dihai übrnachte u erst ufd konzert cho. i has usprobiert eleige z zelte u s hät klappet. han sogär neui bekanntschafte gmacht. es lohnt sich uf jedefall sini ziit z gnüsse. au wemr ellei isch.
Merci für dini Offeheit. Findi super, dass es gmacht hesch und au positiv usecho isch.